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Der Prinz von Amundo

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Von allen Städten jenseits der Säulen des Herakles sei Amundo die schönste, schreibt Marco Polo, und auch wenn die Behauptung des venezianischen Entdeckers, dass dort ein Einhorn die Kutsche des Königs ziehe, als Beweis dafür gewertet wurde, dass seine angebliche Reise nur der Geltungssucht eines notorischen Aufschneiders entsprang, so brachte er als Beleg für die Existenz Amundos und auch des Einhorns immerhin ein vergoldetes Horn mit, das vermutlich einem Panzernashorn gehörte, sowie ein äußerst kunstvoll facettiertes Behältnis aus Kristall von der Form einer Pagode, das in Amundo der Aufbewahrung von Juwelen gedient haben sollte. Beide Kostbarkeiten wurden nach Marco Polos Rückkehr in der Schatzkammer der Basilika San Marco aufbewahrt und gerieten im Lauf der Jahrhunderte in Vergessenheit. Ihre Spur verliert sich im vorrevolutionären Frankreich bei ihrem letzten Besitzer, dem Kardinal de Rohan. Dieser war es auch, der eine Miniaturstadt aus tönernen und kristallenen Objekten besaß, die den Grundriss von Amundo darstellte, und es heißt, der Kardinal habe für angebliche Artefakte aus der legendären Stadt ein Vermögen ausgegeben. Vielleicht jedoch hat Marco Polo nie einen Fuß in die Stadt Amundo gesetzt. Gesichert ist erst der Aufenthalt des portugiesischen Abenteurers Philipp de Brito, der 1593 in Syrinam landete. Die Herrschaft des selbst ernannten Königs dauerte jedoch nur wenige Jahre, zu deren Ende er von seinen eigenen Söldnern gepfählt wurde – nicht zuletzt weil er ihnen die versprochenen Schätze Amundos nicht liefern konnte. In der Nacht vor dem Angriff von de Brittos Truppen war die Stadt Amundo von einem verheerenden Tsunami verschlungen wurden. Die herrlichen Paläste, prächtigen Villen und Pagoden, die von Palmen gesäumten Alleen und die kunstvoll angelegten Bewässerungskanäle – für immer versunken im Golf von Martaban. 

An all diese Legenden, wahr oder erfunden, musste Max von S. denken, als er auf der Veranda seines Anwesens im bayrischen Theresienthal einen geheimnisvollen Besucher empfing. Das Amundo-Fieber, wie es, von vielen leicht belächelt, genannt wurde, hatte sich, einer Geheimwissenschaft gleich, seit dem späten 19. Jahrhundert in einem kleinen Zirkel europäischer Kunstkenner verbreitet, zu dem neben den Glashüttenbesitzern aus der Familie Poschinger auch ein Vorfahr des Max von S. gehörte. 

Von S. war gewissermaßen erblich vorbelastet und seit früher Jugend von diesem Fieber infiziert. Sein Ururgroßvater hatte im Auftrag König Ludwigs II., der einst seine Bautätigkeit mit einem Pavillon in amundischem Stil zu krönen gedachte, eine Expedition in die damalige britische Kolonie Indien unternommen, wo man den historischen Standort Amundos vermutete, jedoch nicht viel mehr mitgebracht als ein Keramik-gefäß von der Form einer Pagode, in dem ein gläserner Artefakt ruhte, dessen schimmernde Schönheit an die Iris eines menschlichen Auges gemahnte. Seinen Blick in dieses Objekt zu versenken, ermöglichte es angeblich, in die Zukunft zu sehen, doch auch wenn von S. als Kind stundenlang fasziniert vor diesem Objekt verharrt hatte, so hatte die amundische Iris ihm nie ihr Geheimnis enthüllt.

Insofern war von S. mehr als gespannt auf den Besucher, der sich ihm als der Prinz von Amundo angekündigt hatte. Ein Betrüger vermutlich, dachte er, der auf irgendeine Weise, von seiner Faszination für Amundo erfahren hatte. Ein Knirschen auf dem Kies der Auffahrt verriet ihm, dass ein Auto vorfuhr, und ein leichter Sommerwind wiegte die Bäume im Garten hin und her, während durch die offene Tür der schwere Duft des Jasmins zog. Von S. sah die phantastischen Schatten vorbeifliegender Vögel über die langen Vorhänge des Fensters flitzen, die ihn an taumelnde japanische Holzschnitte erinnerten. Er schob den Vorhang zur Seite und konnte in dem Cabriolet eine Frau mit asiatischen Zügen sehen. Mit einer großen Sonnenbrille versank sie trotz der sommerlichen Hitze in einem üppigen Pelz und legte wie traumverloren den Kopf zurück. Von S. wartete bis es klopfte und räusperte sich: »Herein.«

»Sie haben Besuch«, sagte das Dienstmädchen, eine ganz und gar unpoetische Erscheinung, die eines Tages ein Prunkstück aus von S.’ Sammlung, einen auberginefarbenen, hölzernen Stuhl, der mutmaßlich in Amundo gefertigt worden war, ungefragt auf den Speicher verbannt hatte. Von S. hatte Diebstahl befürchtet und war einer Ohnmacht nah, bis das Dienstmädchen ganz ungerührt berichtete, es habe aufgeräumt: »Diesen Stuhl vermissen sie?« hatte sie gefragt. »Mit seinen Beinen und dieser Lehne sieht das alte Ding aus wie ein Esel.« Seitdem hatte er ihr das Betreten des Raumes verboten.

Das Mädchen öffnete die Tür, und was von S. erblickte, nahm ihm den Atem. Eintrat, gefolgt von einem livrierten Chauffeur, ein junger Mann, dessen fein geschnittenes, orientalisch anmutendes Antlitz eine natürliche Hoheit ausstrahlte. Gekleidet war er in einen Anzug aus Wildseide mit einer purpurnen Seidenkrawatte. Wie eine Reliquie trug er in seinen Händen ein kristallenes Gefäß, das in sich zu leuchten schien und in seinem Inneren ein gläsernes Objekt barg, das der amundischen Iris glich, die von S. als Kind so bewundert hatte.

Vorsichtig setzte der junge Mann das Gefäß ab und reichte von S., der alle Zweifel an der Identität seines Besuchers sofort vergessen hatte, die Hand und sagte: »Ich bin der Prinz von Amundo.« Von S. war so erregt, dass er kein Wort herausbrachte, und noch ehe er den Prinzen angemessen begrüßen konnte, gab dieser dem Chauffeur ein Zeichen.

»Der Teppich!« befahl er. Der Chauffeur rollte einen Teppich aus, der die Tiefe des Ozeans und alle seine Farbtöne von Türkisblau bis zu Smaragdgrün in sich zu tragen schien, und von S. kniete nieder, um die seidigen Fasern zu streicheln. »Diese Farben...« stammelte er.

»Das sind die Farben des Meers, das Amundo einst verschlungen hat«, sagte der Prinz.

Von S. spürte, dass er sich zusammen  nehmen und seine Gedanken ordnen musste. Er gab sich einen Ruck, erhob sich und sagte mit fester Stimme: »Ich will das alles besitzen.«

 

Auszug aus dem Roman »Der Prinz von Amundo«. Autorin ist die polnisch-französische Schriftstellerin Mascha d‘Azard. Der Roman wurde in den frühen Dreißigern geschrieben und postum 1953 veröffentlicht.

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